Landesverrat

Oder: Was aus mir geworden wäre, wenn das aus mir geworden wäre, was eigentlich aus mir hätte werden sollen und nicht das, was stattdessen aus mir geworden ist

Wenn man wie ich auf dem Land groß wird, dann träumt man möglicherweise (und wenn man einigermaßen beieinander ist, also geistig betrachtet) von nichts anderem als davon, dieses Land irgendwann hinter sich zu lassen. Und zwar ganz bald und ganz weit hinter sich.

Das Landleben engt ein. Insbesondere dann, wenn es kein echtes Landleben ist. Dann könnte man wenigstens noch Mist machen. Also in echt, nicht bildlich gesprochen! Man könnte mit den Rindern „blinde Kuh“ spielen und mit den Ferkeln so richtig rumsauen. So ein Land ist mein Land nicht. Das Land von dem ich spreche ist mehr so was wie Mentalitätsland, Gesinnungsland – intellektuelles Ödland. [Wichtige Anmerkung: Natürlich gibt es dort auch Landwirte, aber die sind mehr für die Quote da. Frauen suchen sie übrigens meines Wissens auch nicht. Nicht mal das.]

Dieses Land hat das Potential, einem ganz gehörig auf den Sack zu gehen und zwar unabhängig davon ob man biologisch dazu ermächtigt wurde oder nicht. Spätestens mit fünf platzt der Geduldsfaden. Zu diesem Zeitpunkt gibt es dummerweise noch keinen Ausweg. Deswegen befinden sich die meisten 5- bis 15-jährigen Ländler auch in psychologischer Behandlung. Oder sie haben eine Spielkonsole. Wir hatten damals noch keine Psychologen und keine Konsolen. Wir haben den Nachbarn Container bestellt.

Wenn man dann groß ist – auf dem Land wird man früh groß, auch wenn man noch ganz klein ist -, dann hat man eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten. Man kopuliert mit Gleichgesinnten  (und Verwandten) und zeugt frische Landeiner. Davor, danach und währendessen lässt man sich zur Fleischerei-, Bäckerei- und Blümereifachverkäuferin ausbilden. Und hält Mode aus dem Bla-Bla für Haute Couture.

Oder man geht und macht die Tür hinter sich zu. Und wenn man an diesem Tag wirklich allerbester Stimmung ist, dann sagt man – wenn es hochkommt – höchstens noch „Tschüss.“ Und wird in der großen, schönen Stadt Erotikspielzeugfachverkäuferin. Und hält das vielleicht für die ganz große Karriere.

7 Kommentare

  1. Das ist mal wieder herzallerliebst von Dir. Verzeih mir bitte mein Schweigen. Es war einfach zu viel mit diesen Tassengeschichten…

  2. Das geht Dir nicht nur uaf dem Land so.

    Ich komme aus einer Stadt mit 100.000 Einwohnern, die auch mir schnell zu klein wurde. Aber ich habe lange gebraucht, mich an die große Stadt zu gewöhnen, obwohl es das Millionendorf ist. Heute möchte ich nicht mehr weg.

    Ein wunderschön geschriebener Beitrag (Deiner!)

  3. Danke für die Blumen. Dabei bin ich gar keine „Mutter“ ;-) Und schön, dass Du mal bei mir reingeschneit bist. Ich freue mich immer über Besuch.

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