Mellcolm im Wanderland, Teil IV: Von Adelboden über Lenk zurück nach Belp

Nachdem wir am Vorabend pizza- und süßkrambefüllt in luftiger Hochbetthöhe erneut pfeilschnell in den Schlaf geschossen waren, erwachten wir noch vor dem ersten Hahnenschrei voller Tatendrang und erstaunlich hungrig. Nach porentiefer Katzenwäsche stiegen wir in Pantoffeln die Steige hinunter in Ruth und Peters gemütlichen Frühstücksraum, wo selbige uns bereits mit frischem Kaffee, selbst gemachter Marmelade (Aprikose-Lavendel und Rhabarber-Banane-Vanille) und derlei Köstlichkeiten erwarteten.

Fruehstueck

Wir waren die ersten Frühstücker des Tages, so dass sich die Beiden zu Frühstück und Plausch zu uns gesellten und mit uns überlegten, auf welcher Route wir wohl am stilvollsten nach Lenk gelangen würden. Ruth hatte gerade angesetzt in die erste Marmeladenstulle des Tages zu beißen, da kündigte sich durch heftiges Gerumpel im Flur der nächste Schub Gäste an. Die Tür öffnete sich und in die Jahre gekommener Boyscout nach dem nächsten betrat den Frühstücksraum – zwei Drittel unserer Wandergesellschaft vom Vortag waren also plötzlich wieder vereint.

Im Frühstücksraum spielten sich rührende Wiedersehensszenen ab, alt und jung lagen sich in den Armen, der Champagner floss in Strömen und all das… Nachdem wir uns vorübergehend fertig gefreut hatten und unsere Bäuche bis obenhin mit Marmeladenbroten vollgestapelt waren, traten der Wandergefährte und ich die letzte Etappe unserer Tour durch das Berner Oberland an. Meine misshandelten Achillessehnen jubilierten bei der Aussicht, dass sie sich nur noch einen Tag lang würden quälen müssen. Zur Verdeutlichung ihrer Freude schwollen sie noch einmal zur Höchstform an.

Da wir aufgrund der Befindlichkeiten von 50% des Wandertrüppchens auf jedwede Seil- und Hochbahnen verzichten mussten, hatten wir uns für eine reizvoll klingende Nebenstrecke entschieden, die uns nicht nur die Entlastung unserer müden Glieder sondern außerdem die Begegnung mit diversen Seniorenwandergesellschaften ersparte. Wie schon in den vergangenen Tagen führte uns der Weg zunächst steil bergauf.

Wir wanderten, als gäbe es kein Morgen. Der Wandergefährte eilte mit flottem Schritt voran, ich kroch etwas weniger flotten Schrittes hinterher. Alle Nase lang entschwand ich aus seinem Sichtfeld und er musste eine Rast einlegen, ein Buch lesen, ein Lied pfeifen, bis ich dann schließlich auch mal wieder auf der Bildfläche erschien. Dies heitere Spielchen begleitete uns durch einige Stunden bis wir schließlich unseren Tagesgipfel „Sillerenbühl“ erreicht hatten.

Sillerenbuehl

In den Sommermonaten mutiert „Sillerenbühl“ zum Mekka der Tretrollerfahrer (Trottinette), die sich im „Trottiland“ auf insgesamt 45 km nach Herzenslust ausrollern können. Die Verlockung, den Wanderstock gegen den Tretroller einzutauschen war auch für uns einen Moment lang groß, aber gerade noch rechtzeitig besonnen wir uns darauf, dass ich auf gar keinen Fall in einem Affenzahn mit einem wackligen Dingsbums ins Tal rasen würden, schon gar nicht, wenn das Tagesziel der Wanderung nicht in diesem Tal zu finden war.

Trottinette

Wir entschieden uns stattdessen für das Blümchenwandern auf dem Panorama-Wanderweg nach Hahnenmoos. Dieser war bei Sonntagswanderern, Senioren und fladenden Kühen gleichermaßen beliebt. So manche Dame hatte offensichtlich alle Hände voll damit zu tun, mit den silbernen Paillettenstilettos nicht knietief im noch warmen Weidetierexkrement zu versinken. Da es auf dem Weg mit Abstand mehr Fladen als Blumen zu entdecken gab, war ich ganz kurz geneigt, das Fremdenverkehrsamt Adelboden-Silleren um eine Namensänderung für diesen sogenannten „Blumenweg“ zu ersuchen. Weil ich aber nicht gleichzeitig leiden und Briefe verfassen konnte, verwarf ich die Idee schnell wieder.

Blumenweg

Kurz vor Hahnenmoos stießen wir auf eine größere Gruppe Schweizer Pensionisten, die – wie es sich beim Wandern in der Schweiz eben so ziemt – allesamt einzeln durchgegrüßt werden wollten. Ich nuschelte mir jeweils ein „Grüezi“ in die Backentasche, da ich nicht wusste, ob es hier oben für die Pensionisten nicht noch befremdlicher in erkennbarem Hochdeutsch begrüßt zu werden als gar keine Grüßung zu erhalten.

Gleich hinter der Rentnerschwemme lag am Bauche des Bergsattels der Modellflughimmel, oder genauer: Der Idiotenhügel des Modellfliegens. Hier tummelten sich also die noch nicht ganz so erfahrenen Modellflieger, die man zum einen an der Gemächlichkeit des Fliegenlassens, zum anderen am Lädierungsgrad des Flugmaterials erkennen konnte. Wohl von den Mühen der Anfänger beschämt und in tiefer Sorge ums Material hatten sich die Modellflugprofis auf die Rückseite des Bergsattels verflüchtigt, wo sie den Wanderern nach Herzenslust ihre hochglänzenden A-380 & Co.-Verschnitte um die Ohren jagen und dabei den Himmel in tausend kleine Stücke zerteilen konnten.

Windrad

Der Gefahr um Haaresbreite entkommen konzentrierten wir uns wieder voll auf den eigentlich Sinn unseres Hier- und Daseins: Den Abstieg. Hatten mich Stilettodamen, Senioren und Modellflieger jedoch kurzzeitig von meinem Schmerz abgelenkt, brach er schlagartig und unter Zuhilfenahme eines schrillen „Auuuuuuutsch“-Lautes ungebremst in mein Abstiegsidyll ein. Nicht einmal eine erneute Begegnung mit unseren südafrikanischen Dropsfreunden schaffte noch Linderung.

Endlich aber erblickte ich einen Lichtstreif am Horizont des Schmerzmeeres: Am Fuße des Berges tat sich ein hübsch besonnenschirmtes Ausflugslokal (für Motorradgangs) mit Bushaltestelle (!) vor der Tür vor uns auf. Und wir taten etwas, was ich mich in meinen kühnsten Träumen nicht Auszumalen gewagt hätten: Wir kehrten ein, so mit sitzen, trinken und all dem üblichen Schnickschnack.

Es frustrierte uns nur unwesentlich, dass unsere britischen Wanderfreunde, die Stunden nach uns bei Ruth und Peter aufgebrochen waren und die wir WEIT hinter uns wähnten, dort schon beim zweiten oder dritten Ale saßen. Binnen Kurzem tauchten dann auch die Südafrikaner auf, so dass wir alle wieder vereint waren und einen kurzen Moment in den Erinnerungen des Vortages schwelgen konnten.

Nach einem Schwätzchen entschlossen sich die Briten zum Aufbruch in Richtung Tal. Die Südafrikaner, die schon länger als eine Woche in Sachen Wandern unterwegs waren, entschlossen sich für den letzten Rest der Wegstrecke das Postauto zu nehmen. Meine Chancen auf eine Postautofahrt standen 50:50. Leider erwischte ich die 50%, die sich auf meinen Füßen abspielen sollten. Ich seufzte kurz aber leidenschaftlich und ergab mich in mein Schicksal. So lange der Weg hinunter nicht im Wesentlichen aus Treppen bestehen würde, würden meine Sehnen und ich den restlichen Abstieg noch geradeso überleben, dachte ich mir. Hie und da eine kleine Schräge – das sollte nach rund 3500 Höhenmetern noch machbar sein….

Kaum hatte ich den Treppengedanken ausgesprochen, begann auch schon das nicht aufhören wollende Treppenmartyrium. Fast schien es mir, als seien sämtliche Treppenstufen der Schweiz an diesem einen Hang verbaut worden. Zum Glück schmerzte inzwischen jeder einzelne Schritt, so dass ich mich nicht mehr andauernd umgewöhnen musste. Im Geiste auf allen Vieren kriechend erreichte ich schließlich völlig unerwarteterweise noch lebend den Bahnhof von Lenk, wo mich der besorgte Wandergefährte stante pede aus den Klauen meiner Wanderschuhe befreite und mich in die kuscheligen Crocs steckte. Nun war alles wieder gut.

Von Lenk aus traten wir per Zug die Heimreise an. Sie dauerte Stunden, denn die Bahnen hielten an jeder Gießkanne um ein weiteres Seniorengrüppchen aufzunehmen. Nach etwa drei bis sieben Stunden Zugfahrt erreichten wir schließlich die Heimathütte in Belp. Die freundliche Hüttenwirtin bot uns sogleich ein erfrischendes Duschbad und eine Schlafstatt. Am Abend fanden wir dann endlich das, für was wir uns tagelang vergeblich durch das Berner Oberland gequält hatten: Älpler Makkaroni wie bei Muttern.

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