Asiawoche, Teil VIII: Der dritte Zwischengang

Neu_GonpachiAn meinem letzten Abend in Wonderland entscheide ich mich, die Shoppingmeilen hinter mir zu lassen und mich den sonstigen Attraktionen der Stadt zu widmen. Die erste Etappe der kleinen Einpersonen-Kaffeefahrt bringt mich nach Roppongi. Vom 52. Stock des Mori-Towers in Roppongi Hills habe man angeblich einen phantastischen Panaromablick über die ganze Stadt. Und das bisschen Höhenangst wird eine Heldin wie mich doch nicht davon abhalten, mir Tokio aus der Pekingentenperspektive anzusehen. Wohl dem, der sich irgendwann anschicken wird, Panoramablicke vom Erdgeschoß aus anzubieten! Todesmutig beschreite ich also den Fahrstuhl des Grauens. Selbst das auf Halloween gebürstete Personal vermag es nicht mehr, mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Im 52. Stock presst sich die versammelte Gesellschaft an die großen Panoramafenster. Nur eine einzige Besucherin versucht den jeweils größtmöglichen Abstand zum Abgrund zu halten. Erstaunlicherweise sieht diese aus wie ich und fühlt sich auch genau so an. Zufälle gibt’s! Aber auch die sichere Distanz kann den Rundblick über die Stadt nicht verhindern. Ich bin ausgeliefert. Nicht mal die an die Fenster gepressten Menschenmassen schützen mich vor der drastischen Wahrheit: Tokio – so weit das Auge reicht; Tokio, eine Stadt ohne Ende. Ich muss zugeben, dass ich schockiert bin. Bis zu diesem Moment hatte ich an Berlin und Köln, an Brüssel und Castrop Rauxel geglaubt. Und mit einem Mal wusste ich: Es gibt nur Tokio. Zu gleichen Teilen von Höhe und Erkenntnis benommen verlasse ich die Schreckensszenerie. Einer Folterkammer entkommen, für die ich sogar freiwillig Eintritt in apothekaler Höhe zahlt.

Ich entscheide mich für die Flucht aus der harten Wirklichkeit, hinein in die Welt der Illusion und plane spontan mich mit Haut und Haaren dem in Tokio nicht unüblichen Filmkulissenaufsuchtourismus hinzugeben. Da meinen Magen nahezu gleichzeitig ein Gefühl der Leere aufsucht und man mir Fleisch in Aussicht stellte, begebe ich mich auf direktem Wege zum nächsten Etappenziel, jedoch nicht ohne vorher einen guten Kilometer in die falsche Richtung gelaufen zu sein. [Es ist kaum mehr als ein Gerücht, dass ich aus nicht nachvollziehbaren Gründen für meine kleine Tour unbedingt die neuen Stiefel aus dem Schuhübergrößenladen anziehen musste, die nicht nur ein wenig zu eng sondern auch ein wenig zu hoch geraten sind.] Das Gonpachi ist so was wie die japanische Antwort auf ein Steakhouse. Es gibt dort sogar Koberind. Das Restaurant diente als Vorbild für die Kulisse der Gemetzelszene in Kill Bill.

Mir wird ein Platz an der Theke zugewiesen, was alleine ohnehin irgendwie weniger unangenehm ist. Ich bestelle Bier und Fleisch und warte darauf, dass das große Gemetzel losgeht. Ich bestelle ein weiteres Bier, aber nichts passiert. Von links spricht mich ein Tourist an, der mir meinen offensichtlich vorhandenen Handyempfang neidet. Ich erkläre ihm die Welt. Und dass er ohne UMTS / G3 in Japan handytechnisch gar nichts zu melden hat. Er denkt, ich habe Ahnung. Ich bin irgendwie stolz. Nachdem sich nach dem zweiten Glas Bier noch immer kein Gemetzel eingefunden hat, verlasse ich mit leichter Schlagseite das Restaurant. Im Bauch einen guten Liter japanisches Hopfenwasser und das gute Gefühl, jeden Japaner locker unter den Tisch saufen zu können.

Weiter führt mich die kleine Filmtour in das Park Hyatt Hotel. Mehr zufällig als absichtlich finde ich es sogar in irgendeinem dieser Häuser, die einem in Tokio an jeder Ecke über de Weg laufen. Irgendwie ist das ganze merkwürdig. Das Hotel befindet sich in den oberen Stockwerken eines normalen Bürogebäudes, fast so, als wolle es sich vor den Leuchtreklamen verstecken. Und als die Fahrstuhltür sich öffnet ist es irgendwie so wie es an der Himmelspforte sein muss, kurz bevor man ins himmlische Paradies eintritt. Ein wohliges Gefühl der totalen Entschleunigung kriecht mir in die Hosenbeine.  Das Licht ist gedämpft, die Musik leise, in der Nase macht sich ein angenehmer Duft breit. Ich schwebe durch die Hotelflure und frage mich bei den Engeln links und rechts nach dem Weg zur Bar durch. Natürlich ist das nicht irgendeine Bar. Schließlich bin ich im Himmel, oder in dessen japanischer Version.

Die New York Bar im Park Hyatt zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie im Film „Lost in translation“ eine Hauptrolle spielte. Ich habe den Film nie gesehen, kann daher nicht sagen, ob ihr Part oscarreif war. Aber nachdem ich von mehreren Seiten mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass ich die Stadt unmöglich ohne einen Besuch in ebenjener Bar verlassen könne tat ich diesen Menschen eben den Gefallen und suchte sie auf. Die nach 19:00 Uhr zu entrichtende Platzmiete war teurer als der Wein, den ich dem Bier im Bauche kredenzte. Ich rächte mich fürchterlich, in dem ich jede einzelne Knabberei in dem kleinen Napf, der mir vorgesetzt wurde genüsslich mit den Zähnen zermahlte. Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, den Napf anschließend auszulecken. Meine Katzen wären da weniger skrupellos gewesen. Die Bar war eben eine Bar. Zwar eine mit einer durchaus großen Auswahl an Aussicht und auch eine, in der Livemusik feilgeboten wurde, aber am Ende doch nur eine Bar. Ich glaube, ich muss mir diesen Film mal ansehen, vielleicht gerate ich dann retrospektiv in Ekstase.

Vom versammelten Alkohol und den Eindrücken gleichermaßen beschwingt kehre ich an meinem letzten Abend in Tokio in die Hotelstadt zurück. Dem kleinen Moment des Heimwehs, der sich im Schatten des Alleinerlebens all dieser Dinge unbemerkt von hinten angeschlichen hat biete ich die Stirn. Deutsche Welle TV hilft mir ein bisschen dabei, auch wenn ich alle Sendungen in den verjetlagten Nächten zuvor bereits mehrfach in deutscher und englischer Fassung gesehen habe. In einer Welt der kurzen Quietsch- und Nasallaute legen sich einem die aufwändigen (behäbigen) deutschen Wortkompositionen wie ein wärmender Mantel um die Schultern. Die Nachrichten aus der Heimat lassen mich sanft wegdösen.

Alle Beiträge der Asiawoche.

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