Mugs & Moritz: Teil XXIX

sammeltasseDie vorletzte Tassengeschichte widme ich der ältesten Bewohnerin des Tassenschrankes. Sie hat mich schon mein ganzes Leben lang begleitet.

Sie war schon immer eine besondere Tasse, eine echte Dame. Sie war viel hübscher dekoriert als die anderen und aus viel dünnerem Porzellan. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, sie getrennt von ihrer bunt verzierten Untertasse auf irgend einen Tisch zu stellen. Und überhaupt wurde sie eigentlich mehr angeschaut als leer getrunken. Und um das etwas einfacher zu machen stand sie – zusammen mit den anderen, die genau so wie sie irgendwie „anders“ waren – die meiste Zeit in einem beleuchteten Vitrinenschrank.

In regelmäßigen Abständen holte man sie und die anderen Porzellanprinzessinnen aus dem Vitrinenschrank. Das waren die Wellnesstage, wobei das damals noch irgendwie anders hieß. An diesen Tagen wurde eine nach der anderen zunächst in warmen, duftenden Wasser gebadet, dabei sanft massiert und schließlich mit feinstem Tuch wieder abgetrocknet. Die Tassen genossen die Prozedur sichtlich und strahlten danach vom Rand bis zum Unterteller.

Die Tassen aus dem Vitrinenschrank lernten früh, dass sie sich von den gewöhnlichen Tassen unterschieden. Immer wieder drückten ältere Damen ihre Nasen an die Vitrinentür und hin und wieder schnappten die Tassen Gesprächsfetzen auf. „Bezaubernde Sammeltassen sind das…“ „Ach. Was für schöne Sammeltassen Sie haben….“ Die Gespräche vor der Vitrine klangen immer gleich und das Wort „Sammeltasse“ kam in jedem dieser Gespräche vor.

Genau wie die anderem Damen im Schrank verstand auch unsere Tasse nichts davon, was es mit dem Wort „Sammeltasse“ auf sich hatte. Aber sie hatte das Gefühl, dass die Scheibendamen mit diesem Wort eine gewisse Erwartungshaltung an die Schrankbewohner zum Ausdruck brachten. Und da sie ohnehin selten etwas besseres zu tun hatte als im Schrank zu stehen, beschloss die Tasse, sich ihren Namen zu verdienen und die beste Sammeltasse des ganzen Schrankes zu werden.

Natürlich ist man, was das Sammeln betrifft, einigermaßen eingeschränkt wenn man als Tasse geboren wurde. Briefmarken, Münzen, Puppen und sonstiger Tinnef, als all das, was sonst so gesammelt wurde, fiel für die Sammeltasse als Sammelobjekt leider aus. Im Vitrinenschrank war für so etwas schlicht kein Platz! Also fing die Tasse an, etwas zu sammeln, das keinen Platz und nur wenig Pflege braucht.

Zunächst sammelte sie die Blicke der älteren Damen, die sie durch das Glas der Vitrine betrachteten. Dann sammelte sie die Koordinaten der verschiedenen Positionen, die sie im Schrank hatte – denn nach jedem Wellnessausflug änderten sich diese ein bisschen. Als sie merkte, dass die anderen Sammeltassen nach und nach verschwanden, begann sie voller Eifer die Augenblicke zu sammeln, die sie mit ihnen verbracht hatte, damit sie nicht in Vergessenheit gerieten.

Der Vitrinenschrank und die reizenden älteren Damen davor verschwanden. Ein neuer Schrank ohne Aussicht wurde ihr Zuhause. Dort war sie dann auch nicht mehr von vornehmen Sammeltassen sondern von allem möglichen Geschirr umgeben. Doch auch hier hörte sie nicht auf zu sammeln. Tassen kamen und gingen, die Sammeltasse sammelte die Erinnerungen an jede einzelne von ihnen. Außerdem sammelte sie auch die Erinnerungen an die immer seltener werdenden Ausflüge auf den Kaffeetisch, der zu solchen besonderen Anlässen immer üppig eingedeckt und voller sammelbarer Eindrücke war.

Natürlich wurde die Tasse auf ihrer langen Reise, die sie durch zahlreiche Schränke über zahlreiche Tische und durch noch viel zahlreichere Hände führte immer auch ein bisschen älter und zerbrechlicher. Irgendwann wollte man ihr die Strapazen der gelegentlichen Kaffeekränzchen nicht mehr zumuten. Und so bekam sie in einem besonders hübschen und ruhigen Eckchen des Schrankes einen Ehrenplatz, an dem sie heute noch steht. Und um sie herum stehen kleine und große Tassen, Gläser, Teller, Schüsseln und Becher und freuen sich darüber, die vielen Geschichten zu hören, die die gute alte Sammeltasse während ihres langen Lebens gesammelt hat.

Zur Übersicht der Tassengeschichten.

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