Es ist angewandert

Lenggries – Seekarkreuz – Lenggries, 3. April 2011

Das Schöne an diesem Frühling ist ja, dass er nicht nur lingt was das Zeug hält sondern das Ganze auch noch verhältnismäßig früh tut. Für den deutschen Frühling ein eher untypisches Verhalten. Speziell der April scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, diejenigen, die sich bisher schon beim bloßen Gedanken an ihn kopfschüttelnd abwendeten, ein für allemal Lügen zu strafen. Nicht nur ist er, der April nämlich besser als sein Ruf, nein, er ist sogar besser als so mancher Mai es je gewesen ist. Und der Mai ist was seinen Ruf betrifft eindeutig der Aristokrat unter den Monaten.

Mellcolm auf dem Gipfel

Wo nun also der April einen auf Frühsommer macht, die Blümchen und Blättchen vergnügt vor sich hin sprießen, die Bienchen frivole Lieder summen und die Vögel dazu aufgeregt zwitschern, da hält es keinen rechten Wandersmann mehr in der guten Stube.

Und so ist es kein Zufall, dass schon für das erste Aprilwochenende das große „Anwandern“ angesetzt wurde: Von Lenggries aus sollte das Seekarkreuz eingenommen werden. Die noch winterschläfrigen Extremitäten freuten sich indes, dass die erste Wanderung noch im „Schongang“ verlaufen sollte, da nur schlappe 900 Höhenmeter statt der inzwischen bereits üblichen 1000+ Höhenmeter zu erklimmen waren.

Die Freude war bei den anwesenden weiblichen Extremitäten jedoch von kurzer Dauer, denn der Aufstieg entpuppte sich wirklich als solcher. Kein steiles Bergaufgehen, das man zur Not noch hätte im Halbschlaf vollziehen können, sondern ein von Wurzeln und sonstigen Stufen erzwungenes Beineheben erste Kajüte war angesagt, ähnlich dem Besteigen des Kölner Doms – nur länger und ganz ohne Glockengeläut. Und zwischendurch immer diese bejeansten und besneakerten jungen Leute, die an einem vorbei zogen als sei das alles nichts! Natürlich ging es denen nicht um das Wandern als solches, sie wollten nur schnell zur Hütte um endlich eine Brotzeit einzulegen, in der Brot nur in den seltensten Fällen eine Rolle spielte. Wir aber, wir nahmen das Wandern ernst und straften die weißbiergetriebene Leichtfüßigkeit der anderen daher mit explizitem Naserümpfen und nur vorgeblich freundlichem Gegrüße.

Wie angenommen waren wir die Spaßwanderer bereits an der ersten Hütte los und konnten uns nun deutlich ungestörter dem Gipfelsturm hingeben. Glücklicherweise machte uns der letzte Teil des Weges zum Gipfel die Freude, einfach nur so steil zu sein und nicht mit Wurzeln und Stufen aufzuwarten. Zwar gab es ein wenig Schnee, der uns gelegentlich zum Rumrutschen nötigte, aber unterm Strich waren die letzten 260 Höhenmeter gemessen an dem was bereits hinter uns lag ein echter Kindergeburtstag. Oben angekommen packten die anderen Wandersleut‘ ihre Brote und Würste, ihr Braten und Knödel, ihre Torten und kalten Buffets aus. Bei uns gab es Trockenobst, ganz ohne Schnörkel.

Ein freundlicher Wandersmann erklärte uns – ungefragt – die geologische Entstehungsgeschichte sämtlicher im Blickfeld befindlichen Erhebungen sowie sämtliche ihm sonst wie relevant erscheinenden Daten rund um den Felsen, also Datum und Wetter der Erstbesteigung, Dirndlfarbe der Hüttenwirtinnen sowie die Konsistenz der Kuhfladen in verschiedenen Höhenlagen. Es dämmerte schon langsam und außer uns und dem Bescheidwisser hatte nur noch das Gipfelkreuz an Ort und Stelle verharrt. Schließlich gelang uns während eines tiefen Atemzuges des Herren die Flucht vom Gipfel.

Mein Begleiter musste seine geschundenen Rezeptoren nun erstmal in der nächsten Hütte mit einer deftigen Kartoffelsuppe besänftigen. Ich selbst spülte mich einmal mit Apfelschorle durch.

Der Abgang verlief weitestgehend unaufdringlich. Auf talwärts gerichtetem Gelände spazierten wir bester Stimmung der Nacht entgegen. Erschöpft aber glücklich unten angelangt, wartete zwar nicht der BOB, aber zwei gemütliche Klappstühle und eine unfassbar gestresste Kellnerin im bestbesuchten Biergarten des Ortes auf uns. Wir liessen den lieben Gott eine gute Fiktion sein und labten uns dort zu gleichen Teilen und Mineralwasser und stolzer Erschöpfung zu gleichen Teilen.

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